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Der lange Schatten des Lehrers

Um den Fixstern Ben Willikens kreisen im Kunstmuseum Celle seine Schüler: von Rüdiger Stanko bis Johannes Wende

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 23.08.2009 - VON MICHAEL STOEBER

Robert Simon hatte eine gute Idee, als er Ben Willikens, früher Kunstprofessor in Braunschweig und München, zur gemeinsamen Ausstellung mit ehemaligen Schülern in das Kunstmuseum Celle bat. Willikens hat nach eigenen Angaben immer höchsten Wert darauf gelegt, „Nonkonformisten“ heranzubilden. Die Absicht soll nicht bezweifelt werden. Dennoch ist es erstaunlich, wie sehr die Werke seiner „Ehemaligen“, ob als Echo oder im Widerspruch, seinen prägenden Einfluss spiegeln. Insofern ist der Titel, „Kühle Analysen“, der von Julia Otto kuratierten Schau passend.

Wie immer sich die Kunst in den Werken seiner Schüler darstellt, mit den Bildern des Lehrers verbindet sie der zergliedernde Blick auf die Welt. Fast in der Mitte, und damit im symbolischen Zentrum der Ausstellung, findet sich ein Viertafelwerk von Ben Willikens. Das mächtige Format zeigt einen menschenleeren, zentralperspektivisch gestaffelten Bühnenraum, von weißem Licht erleuchtet, das sanft in dunkles Grau hinübergleitet. Das Bild wird bestimmt von Symmetrie und Proportion. Auf einer Art Podest sind platonische Idealformen ausgebreitet, Kugel, Quader, Zylinder. Willikens schafft mit seinem „Raum 524“ (2009) nicht weniger als eine Allegorie der Kunst, die zugleich eine Hommage an die Architektur ist. Sie gilt von alters her als die Mutter aller Künste und gibt daher nicht nur ein Maß für das Bauen vor, sondern auch für den Künstler.

Solches Denken in Maßvorstellungen findet sich in verwandelter Form in allen Werken seiner Schüler. Doch viele Arbeiten bleiben eng bei den Vorstellungen des Lehrers. Wie die explodierenden Welten in der Malerei von Roman Lang. Als Musterbeispiele der Dekonstruktion ganz weit weg von Willikens, in der Strukturhörigkeit der Bilder, auch in ihrer grauen Farbpalette, die nur ab und zu ein Gelb, Grün oder Rot aufhellt, ganz nah dran.

Ganz deutlich ist das im Werk von Rüdiger Stanko zu verfolgen, dessen Streifenbilder einerseits auf die ästhetischen Ideale der konkreten Kunst verweisen, andererseits deren selbstbezügliche Abstraktion unterlaufen, indem sie die Verteilung ihrer Farben an ein Publikum delegieren. Wenn Stanko die Komposition seiner Bilder an Umfragen bindet („Welche Farbe verbinden Sie mit dem oder jenem Begriff?“), hat er einen subtilen Weg gefunden, die von seinem Lehrer ausgesperrte Wirklichkeit wieder ins Bild einziehen zu lassen, ohne die Ideale von Maß und Zahl aufzugeben.

Auch Wolfgang Kessler findet zu einer künstlerischen Praxis, in der die Transformation von Wirklichkeit in formschöne Bilder gelingt, die sich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegen. Der Blick aus dem Eisenbahnfenster und auf den Zug gibt Anlass, Zeit und Raum, Interieur und Exterieur, organische und konstruktive Formen miteinander zu verschmelzen. Oder die ausbalancierten Bilder von Frank Rosenthal. Das leere Zentrum seiner Werke ist eine Anspielung auf den angeblichen Tod der Malerei. Die Formen an den Rändern, die unterschiedliche Malstile der Moderne deklinieren, bezeugen indes ihre unverwüstliche Überlebenskraft.

Anke Doberauer schafft ein Atelierbild, das im Gegensatz zu dem Raum von Willikens vor vitalem Leben strotzt und zugleich doch ähnlich streng gegliedert ist wie jener. Hansjoerg Dobliar malt kristalline Strukturen in neoexpressivem Stil. Sigrid Nienstedt besticht mit klar gegliederten Landschaften in raffinierter Farbigkeit, die affektgeladen vom Menschen erzählen, ohne dass er konkret anwesend wäre. Nol Hennissen baut Objekte aus Holz und Metall, deren geometrische Rationalität in sanft subtiler Weise durch das sie umspielende Farblicht irritiert wird.

Am weitesten von ihm entfernt, so Ben Willikens, seien sicher Medien wie Fotografie und Videofilm. Sein früherer Schüler Johannes Wende arbeitet mit ihnen. Bestechend schön ist seine Aufnahme „Nest“. In den Ästen und Zweigen des Nestes wird ein klares Konstruktionsprinzip sichtbar, eine ästhetische Regel. Auch hier ist der Einfluss des Lehrers unübersehbar.

Kunstmuseum Celle, Schlossplatz 7, bis zum 4. Oktober.