Celler "Neonsommer"
Cellesche Zeitung, 13.06.2014 - von Johanna Hasse
Flimmernd, funkelnd, grell, dämmrig, farbig, farblos – die Kunst ist im Lichtrausch. Im zweiten Teil der Ausstellung „Scheinwerfer“ präsentiert das Kunstmuseum Celle ab dem 28. Juni die Vielfalt der deutschen Lichtkunst im 21. Jahrhundert. Die Vorbereitungen zur großen Übersichtsschau laufen auf Hochtouren.
Ein schwerer Samtvorhang trennt im Celler Kunstmuseum den hellen Eingangsbereich vom abgedunkelten Raum, in dem Lichtstrahlen sanft die Finsternis durchschneiden und Bilder an die schwarzen Wände malen. Wer den Vorhang beiseite schiebt, taucht ein in eine kleine, aber grenzenlos erscheinende Welt aus Formen und Farben. Das Spiel aus Licht und Dunkelheit baut sich auf und ab, in wabernden Wellen und harten Sequenzen. Inmitten der rotierenden Lichtpunkte steht Künstler Philipp Geist. Bilder zeichnen sich auf seiner Kleidung, Schatten huschen über sein Gesicht. „InBetween“ nennt Geist sein Lichtprojekt. Er beobachtet das Schattenspiel und verschiebt die Position des Beamers noch einmal.
Wenn man aus dem Raum heraustritt, steht man unmittelbar in der Vorbereitung eines anderen Kunstwerkes. Kabel, Kartons und Werkzeugkisten liegen verstreut auf dem Boden. Vor der großen Fensterfront im Erdgeschoss des Kunstmuseums erhebt sich ein großes Gerüst aus hellen Holzlatten mit rautenförmigen Zwischenräumen. Künstler Martin Pfeifle hantiert mit einer Bohrmaschine. An die einzelnen Streben des Gerüsts wird er in den nächsten Stunden 160 Leuchtstoffröhren anbringen. Was Pfeifle hier baut, sieht aus wie ein gigantischer Zaun aus Licht, ein helles Scherengitter.
Wieder ein paar Schritte weiter entsteht ein ebenso faszinierendes Lichtkunstwerk: Eine Traube aus Leuchtbuchstaben, die in der Luft schwebt, mit Seilen an der hohen Decke des Treppenhauses befestigt. Unter diesem Knoten aus Buchstaben und Silben hockt Künstler Boris Petrovsky auf den Treppenstufen und befestigt vorsichtig eine verschlungene Neonröhre an dem eigensinnigen Gebilde. Das sei wie puzzeln, sagt der freischaffende Künstler vom Bodensee.
Momentaufnahme
Zeitgleich arbeiten die drei Künstler an ihren Werken. Ruhig, bedächtig, in ihre Arbeit versunken. Mit vorsichtigen Händen und aufmerksamen Augen schrauben sie Neonröhren an, verbinden Kabel, hängen Gaze auf und testen Lichtverhältnisse. Zwei Tage brauchen sie für den Aufbau, danach werden sie abreisen, weiter nach Berlin, Amsterdam und London jetten, und zur Eröffnung in zwei Wochen wieder in Celle sein.
Drei Künstler, drei Kunstwerke. Sie sind einzigartig, unterscheiden sich in Formen, Farben, Materialien. In Installationen, Projektionen, Lichtgebilden und Schattenwerken formen die Künstler das Licht. Ihre Arbeiten sind einzelne Stellen auf der Landkarte der Lichtkunst – Schlaglichter, Leuchtpunkte. Eine Momentaufnahme aus der aktuellen Lichtkunst-Landschaft Deutschlands. Die Werke, die hier gerade entstehen, zeigen nur einen Ausschnitt aus dem großen Spektrum der kommenden Ausstellung. Einige Installationen wurden schon aufgebaut, andere folgen noch.
Mehr Licht!
Insgesamt 36 Künstler werden im zweiten Teil der Ausstellung „Scheinwerfer“ leuchtend Position im Celler „Neonsommer“ beziehen. „Dieses Mal findet ein Teil der Ausstellung auch im öffentlichen Raum statt. Wir werden die Stadtkirche, das OLG und den Bahnhof mit einbeziehen“, erklärt Sammler und Künstlerischer Leiter Robert Simon beim Rundgang durch die Räume. In den Jahren seit 2000 haben sich immer mehr Künstler der Lichtkunst geöffnet. Dieses Phänomen will Simon in der Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes „beleuchten“. Mit dabei sind namhafte Künstler wie Tobias Rehberger, Kazuo Katase, Dieter Jung, Gunda Förster und Preisträger Otto Piene.
Das große Leuchten
Wenn man durch die angelehnte Tür der Treppenkammer späht, erblickt man in der Dunkelheit einen leuchtenden Augapfel aus Glas mit blutroten Adern überzogen, ein Werk der Künstlerin Helga Griffiths. „Eye-topia“, ein glühendes Auge, das in unterschiedlichen Farben leuchtet und die kleine Kammer in eine Augenhöhle verwandelt. Jede Ecke des Museums wird in den nächsten Wochen auf unterschiedlichste Weise aufleuchten. „Es ist die aktuell größte Übersichtsschau zum Thema Lichtkunst“, sagt Kuratorin Julia Otto. Drei Jahre lang hat sich das Kunstmuseum auf das Projekt vorbereitet. „Die Ausstellung hat einen riesigen Umfang, der Aufwand ist mehrfach potenziert von dem, was wir sonst machen“, erklärt Otto.
Hell-dunkle Dimension
Lichtkunst - seit rund 100 Jahren existiert sie als junge und innovative Kunstform. Neben Malerei, Plastik und Fotografie besteht sie als eigenständige Gattung. Ob Neon, LED, Leuchtstoffröhre oder Projektoren – oft arbeiten künstliche Lichtquellen im Auftrag der Ästhetik. Künstler Philipp Geist benutzt vier Beamer für seine Videoprojektion im komplett abgedunkelten Raum. 80 Minuten lang laufen Videos ab mit abstrakten Formen, malerischen Strukturen und Wortfetzen. Dunkle Punkte erscheinen und verlaufen vor weißem Hintergrund wie schwarze Tinte. Dazu läuft über eine Soundanlage elektronische Musik von Fabrizio Nocci. Die sperrigen, klirrenden Töne erzeugen eine sonderbare Stimmung. Geist möchte, dass die Besucher verweilen, sich einlassen, die Orientierung verlieren. “InBetween“ - dazwischen. Das ist für ihn das Besondere der Lichtkunst. „Bei der Malerei steht der Mensch vor einem Gemälde. Bei einer Installation aber kann er eintauchen. Vertraute Orte können neu gestaltet werden.“
Die Flüchtigkeit – das ist die Faszinationskraft der Lichtkunst, findet Künstler Boris Petrovsky. Ein Bild kann entstehen und in der nächsten Sekunde wieder erlöschen. „Ich mag die Vorstellung nicht, dass ein Kunstwerk etwas Manifestes an sich haben muss. Ich mag das Fließende, die Übergänge, das Aufgebrochene“, sagt Petrovsky. „Sublimierungswolf“ heißt Petrovskys Werk. Er erklärt warum: „Sprache scheint den Punkt nicht mehr zu finden, Bilder gewinnen Überhand. Die Sprache wird durch den Wolf gedreht. Die Verfeinerung, das Kultivierte verliert sich.“ Für sein Objekt hat Petrovsky ausgesonderte Buchstaben kommerzieller Leuchtreklame verwendet, an denen noch der Staub des Alltags haftet. Licht und Schatten kommen zusammen, die Botschaften auf elektronischen Anzeigetafeln machen keinen Sinn und drehen sich in Endlos-Schleifen: „Die Verheißung der Werbewelt bröckelt, die nicht eingelöste Versprechung nagt an der scheinbaren Makellosigkeit der Buchstaben und am Glanz des Lichts“.