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Hosn tragn bis zum Tod

Ein begnadeter Satiriker – zur Retrospektive des Malers Dieter Krieg in Stuttgart

Süddeutsche Zeitung, 22.07.2008

Deftig gegenständlich und drastisch gegensätzlich wie eines der deftig gegenständlichen Bilder von Dieter Krieg (1937 – 2005) ist auch die erste große Retrospektive nach Kriegs frühem Tod überschrieben: „Fritte und Brillanten“. Der Gegensatz zwischen gammligen Pommes frites und überharten, glitzernden Brillianten trifft die Ironie der malerischen Arbeiten von Krieg perfekt. Schlaffe Fritten, so brillant plastisch ins Gegenständliche gehoben, dass man sie zu riechen meint, und harte Brillianten, mit fettig-weichen Acrylfarben so schäbig zu kristallinem Strahlen gebracht, dass es wehtut, deuten die Fallhöhe an, die Dieter Krieg in seinen virtuosen Evokationen von Alltagsgegenständen mit malerischen Mittel aufgebaut und oft mit verbalen Zusätzen, mit ironischen Inschriften überhöht hat.

Ein satirischer Impuls zieht sich also von Anfang an durch alle Arbeiten Kriegs, eine spielerische Lust an Experimenten auch jenseits der Malerei. Bei Martin Kippenberger wird man Jahre später etwas Ähnliches finden. Doch Kippenberger, der jahrelang unbeachtet geblieben war, hat mit seinen bildnerisch-verbalen Anarchismen noch zu Lebzeiten die Gnade der Anerkennung gefunden, er ist fast über Nacht hoffähig geworden bei der Geld-Aristokratie. Dieter Krieg aber hat so früh seinen Triumph als Künstler erlebt, dass der überrumpelte Kunst-Betrieb ihn danach, wie zur Strafe, tief fallen ließ.

Im Jahr 1978 hat Dieter Krieg – er war damals 41 Jahre alt – zusammen mit dem Bildhauer Ulrich Rückriem Deutschland auf der Biennale in Venedig vertreten. Den wortmächtigen Propagandisten der Avantgarde passte ein Bildmaler, der auch noch sein eigens Tun ungeniert ironisiert, damals so gar nicht in die postulierte Fortschrittsordnung. Sie verweigerten Krieg trotzig die Anerkennung als Maler, nahmen ihn Auch später nicht mehr auf in die Riege der anerkannten Malergrößen, als auf den kurzzeitigen Ansturm der – sehr viel schlechteren – „Jungen Wilden“ zu reagieren war und nach Jahren des Todschweigens erstmals wieder Malerei als Mögliche Kunstform zur Kenntnis genommen wurde.

So stammen denn erstaunlich viele der malerische stupenden Großformate in der Stuttgarter Ausstellung aus dem Nachlass des Künstlers; wäre die Kunstgeschichte der letzten Jahre halbwegs gerecht verlaufen, müssten diese spektakulären Stücke heute auf die großen Museen Deutschlands verteilt sein.

Heidegger als Todschläger

Schon der konzentrierte Rückblick auf die Anfänge um 1966 deutet an, in welche Richtungen sich Kriegs Talent entwickelt hat. In den rosigen fleischlichen Mischgebilden aus Tasse und Hand, aus Sessel und Menschenleib hat Krieg die erzeugten Illusionen noch wild ins groteske verzerrt. Danach geht es hypernaturalistisch kühl weiter: in den „Malsch-Wannen“, den grau–grauen Einblicken in kubisch exakt geformte oder wannenartig gewölbte Metallbehältnisse. Schließlich setzt sich das Malertemperament ungestüm durch: Mit wilden Pinselhieben und daruntergesprühten dunklen Schatten werden Körper von Tieren, die sich zu regen scheinen, evoziert. Am Ende der Entwicklung um 1979 treten die herbeizitierten Alltagsgegenstände dann mit einer solchen Vitalität illusionistisch-plastisch vor die Leinwände, dass man als Betrachter unwillkürlich zurückweicht vor der saftig-teigigen Präsenz der übergroßen Pommes frites, der feuchten Hundeschnauzen, der fleischigen Blumentöpfe, der Spiegeleier, Plastikeimer, Schweinekoteletts, Vorhangstangen und Kamine.

Manchmal nimmt eine gemalte Schrift die Bildfläche in Besitz – wie in der Serie jener Grabkreuze, auf die in schockierend großer Schrift die Wörter „Papa“, „Kind“ oder „Nichte“ geschmiert sind. Wie intensiv sich Krieg lebenslang mit der Sprache als zweiter Ausdruckform beschäftigt hat, machen nicht nur die am Ende des Katalogs faksimilierten Typoskripte mit ihren treffsicher formulierten Realitätssplittern und Kunst-Reflektionen deutlich, sondern auch die Bilderserie mit hingemalten Nonsens-Texten – „Hosn kaufn bis zum Tod“ oder die Gemälde, aus denen Buchschwarten erschreckend lebendig und übergroß hervorwachsen: Becket, Heidegger, Aron Schmidt als Todschläger.

Reale Neonröhren aus schwarzem Vollgummi, die am Boden liegen, geben das fällige Nicht-Licht dazu; und aus Lautsprechern tönt die 150-stündige Litanei sämtlicher Namen aus dem Künstlerlexikon von Thieme-Becker, monoton zelebriert von Künstlerfreunden. Allein die Maler namens Müller beanspruchen mehrere Stunden für sich.

Gottfried Knapp