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Alltag voller Rätsel

Er war einer der großen Künstler: Das Kunstmuseum Celle ehrt den Maler Dieter Krieg mit einer opulenten Ausstellung

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 19.09.2012 - von Michael Stoeber

Dieter Krieg (1937 - 2005) ohne Titel, 1993 Öl / Acryl auf LeinwandWenn alles mit rechten Dingen zuginge in der zeitgenössischen Kunst, dann müsste dieser Maler, der 1978 den deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielte, in einer Reihe stehen mit Gerhard Richter, Georg Baselitz und Markus Lüpertz. Seine Bilder können sich im Vergleich mit den ihren mühelos behaupten. Denn im Werk von Dieter Krieg (1937–2005) lässt sich eine fabelhafte und souverän gehandhabte Malkultur beobachten, der so leicht niemand das Wasser reichen kann.

Die expressiv gegenständliche Darstellung von Dingen hat dieser Künstler in seiner Generation zu einzigartiger Entfaltung gebracht. Grund genug, ihn, der in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag gefeiert hätte, mit einer großen Ausstellung zu ehren. Und das natürlich in dem Haus, welches wohl mehr Werke von Krieg als jedes andere Museum der Welt in seinem Besitz hat, im Kunstmuseum Celle.

Die retrospektive Gedächtnisausstellung hat Dieter Kriegs größter und eifrigster Sammler initiiert, Robert Simon, der dem Museum 1995 seine Kunstkollektion zur Verfügung gestellt hat und in Celle als ehrenamtlicher Direktor waltet. Die sehenswerte Schau hat er durch Leihgaben der Stuttgarter Stiftung Dieter Krieg und von privaten Sammlern ergänzt. So wird der Besucher mit einer einzigartigen Fülle von Exponaten beglückt, die gewissermaßen wie von selbst die Bedeutung dieses Künstlers deutlich machen.

Vor allem die großen Formate sind eine Spezialität des Malers. Er bewältigte sie mit einer Mühelosigkeit, die dem Betrachter den Atem verschlägt. Zum Bemalen legte er sie auf den Boden. Um die Leinwand mit Farbe zu füllen, trat er nicht selten in sie hinein. Oft sieht man auf ihr noch Kriegs Fußabdruck. Dort schüttete und goss, spachtelte und verstrich, sprühte und sprayte er seine Farben, welche die unterschiedlichsten Anmutungen tragen. Sie sind zugleich von zartem Gefühl und ruppiger Aggression.

Die Dinge, welche die Farben umhüllen, werden durch starke Vergrößerung, expressive Gestaltung und surreale Zusammenhänge aus der Banalität gerissen. Es sind immer nur Dinge – Kerzen, Blumen, Dachrinnen, Schleifen, Fleischstücke –, nie Menschen, die wir in Kriegs Kosmos zu sehen bekommen. Dort übernehmen sie die Rolle von Symbolen und werden zu Protagonisten in durchaus dramatischen Erzählungen.

In einem seiner überwältigenden Bilderim Riesenformat von 235 mal 480 Zentimetern schwimmt ein gelbes Ei auf einem weißen Wurm in einem blutigen Meer, das soeben eine blauweiße Tischdecke überschwemmt hat. Das Gemälde ist weit davon entfernt, harmlos zu sein. Es erzählt in eindringlicher Weise vom Leben, für welches das Ei seit alters her ein Symbol ist. Hier ist es stark und leuchtend wie eine ovale Sonne und zugleich fragil und verletzlich.

Der Alltag ist in den Bildern von Dieter Krieg stets da und zugleich ins Existenzielle und Bedeutungsvolle gesteigert. Auch ins Rätselvolle. Wir sehen Flaschen und Blumentöpfe, die aus Fleischstücken wachsen. Eine Kerze, die der Künstler gemalt hat, hat nicht das Stille, Andächtige wie die in dem bekannten Bild von Gerhard Richter. Sie sieht eher aus wie ein krummes Holz, das nicht gerade werden will und als das der Philosoph Immanuel Kant den Menschen bezeichnet hat.

Bis zum 7. Oktober im Kunstmuseum Celle.