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Neonhelle Hirnströme

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 12.12.2009

molitor & kuzmin Wer lange genug in die Röhre starrt, dem geht schließlich ein Licht auf. Die Installation „Black cross negative“ vom deutsch-russischen Künstlerduo Molitor & Kuzmin besteht aus industriellen Neonröhren, die in X-Form auf einem Gitter an der Wand hängen. Das strahlende Kreuz entstand nach einer Zeichnung des russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch, wobei hier das berühmte schwarze Vorbild, das unzählige Deutungen erfahren hat, ins weiße Gegenteil verkehrt ist. Wer dreißig Sekunden lang ins Licht blickt und dann die Augen schließt, dem erscheint auf der Netzhaut ein Nachbild – nachtschwarz wie das Original.

1927 erklärte Malewitsch „die Welt als Empfindung der Idee“ zum Inhalt seiner Kunst. Er wollte beides vereinen: Gefühl und Verstand. Die aktuelle Ausstellung „Leuchtzeichen“ im Kunstmuseum Celle ist ganz ähnlich motiviert. Sie setzt auf die sinnliche Atmosphäre des Lichts und auf seine zeichenhaften Bezüge. Das Licht ist immer auch Metapher. Die Kunst entsteht im Kopf. Wenn Molitor & Kuzmin Neonmaterial zwischen zwei schlichte Paletten der Deutschen Bahn montieren und das ganze „Frachtgut“ nennen, kann man das als heiteren Kommentar zur Lichtgeschwindigkeit lesen. Die Arbeit „Vorsicht Stufe“, ein Treppchen aus unregelmäßig installierten Leuchtstoffröhren, wird tatsächlich zu jenem Stolperabsatz, vor dem das Werk angeblich warnt. Dass die Kunst nicht zum Bilderrätsel gerinnt, verdankt sie ihren plastischen und grafischen Qualitäten. Verwickelte Elektrokabel wirken wie ein zartes Gespinst, Verteilerbuchsen reihen sich zu Mustern.Ursula Molitor hat Grafik/Design und Vladimir Kuzmin Architektur studiert, lange bevor die beiden sich 1996 zusammentaten. Ihrer Lichtkunst ist das eingeschrieben.

Der 70-jährige Niederländer Jan van Munster hat seine Serie „Brainwaves“ aus farbigen Neonröhren den Schwingungen nachempfunden, die ein Elektroenzephalogramm (EEG) von Hirnströmen des Künstlers aufgezeichnet hat. Es gibt die einfache Wellenlinie, die doppelte Kurve („Clone“) oder die Kombination aus Kurve und Gerade – Sinnbild für Emotion und Verstand. Den unsichtbaren Energien gibt van Munster eine Form. Seine „Brainwaves“ sind glitzernde Geistesblitze. Sie werfen die Frage nach dem Wesen der Kunst auf: Wo sitzt die Kreativität, und wie sieht sie aus? Wenn der gläserne Kubus des Museums auch nachts den Blick auf die Lichtkunst freigibt, hat Celle darauf für den Moment eine Antwort gefunden.