«Wer nicht denken will, fliegt raus"
Schau der umstrittenen Kopfkünstler
Werke von Joseph Beuys und Timm Ulrichs sind ab heute im Kunstmuseum Celle zu sehen
Cellesche Zeitung, 15.11.2007 - von Aneka Schult
Kunst und Leben: In den 60ern mischen neue Künstlertypen bestehende Denkschemata auf. In der Sonderausstellung “Beuys. Ulrichs. ICH-Kunst, DU-Kunst, WIR-Kunst" zeigt das Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon erstmals zwei kontrovers diskutierte Künstler-Charaktere in einer Doppelausstellung. Von Aneka Schult CELLE. “Wer nicht denken will, fliegt raus." Nein, das ist nicht das Motto des Celler Kunstmuseums mit Sammlung Robert Simon - oder doch? Angebracht jedenfalls wäre es, sich Gedanken zu machen beim Besuch der Sonderausstellung “Beuys. Ulrichs. ICH-Kunst, DU-Kunst, WIR-Kunst" heute Abend - gibt es doch im ersten Stock des Museums einen spannenden Dialog zweier Kopfkünstler.
Insgesamt 130 Exponate, Multiples und Unikate der beiden extrovertierten Ideen-Kreateure Timm Ulrichs (Jahrgang 1940) und Joseph Beuys (1921-1986) sind verteilt auf zwei Raumachsen zu sehen. Erstmals wurde, gemeinsam mit dem Hannoverschen Kunsthistoriker und Kurator Michael Wolfson, eine solche Gegenüberstellung oder Symbiose konzipiert. So gesehen handelt es sich bei der Ausstellung um eine Premiere mit überregionaler Anziehungskraft. “Mich fasziniert das Spannungsfeld zwischen den beiden künstlerischen Positionen", sagt der künstlerische Leiter des Museums, Robert Simon, aus dessen Sammlung die Exponate stammen, ergänzt durch den Freundes- und Förderkreis.
Kunst und Leben gehören zusammen. Diese Überzeugung steht im Zentrum der Gedankengebäude beider Künstler, die sich in den 60ern fast zeitgleich mit provokativen und unverständlichen Aktionen einen Namen machten. “Bei beiden handelt es sich nicht um Erzeuger von Gemälden oder Skulpturen im herkömmlichen Sinn", erklärt Wolfson. Beuys und Ulrichs gehe es um Ideen. Um deren Sprengkraft und Energie. Um eine revolutionäre Überschreitung traditioneller Grenzen der Kunst. Jeder sei ein Künstler, predigte Beuys. Er selbst näherte sich auf dem klassischen Ausbildungsweg, mit einem Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf der Kunst, Ulrichs stürzte sich während seines Architekturstudiums in Hannover als anarchischer Querdenker und Autodidakt auf sie.
Der eingangs zitierte Satz, den Beuys auf eine Postkarte schrieb, thematisiert seinen Anspruch, das Denken als einen selbstverständlichen Teil des bewussten Lebens zu sehen. Die Soziale Plastik ist Kernthema seines erweiterten Kunstbegriffs. Bereits die Idee sei die Plastik, so Beuys. Auch Ulrichs gehe es um die Idee, verweist Wolfson auf dessen Einfallsreichtum und sein Faible für sprachliche Detailauslegung.
So ruht mitten im Raum ein Stuhl. Die Hinterbeine angeknickt. Sonst sitzt der Mensch, hier sitzt der Stuhl. Witzig auch Ulrichs “Mit scharfem Profil", hintergründig sein “Ins eigene Fleisch". Auf der anderen Seite regen Beuys “saure" Energie oder seine Proklamation der “direkten Demokratie" auf dem Werbeträger “Einkaufstüte" zum Nachdenken an. Auch Beuys' Zeichnungen gehört eine Wand. Schließlich tauchen Fragen auf nach Künstlersignatur und Autorschaft. Hinter allem Intellektualismus aber steht die Intuition, schlummernd in einer Kiste aus Holz. Der Besucher schaue also zuerst dort hinein. Der Denkprozess beginnt.
Öffnungszeiten: Zu sehen bis zum 30. März, dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr. Begleitend erscheint ein Katalog.
Führung: Am Sonntag, 18. November, 11.30 Uhr, führt der Hannoversche Kunsthistoriker und Kurator Michael Wolfson durch die Ausstellung. Treffpunkt ist das Foyer des Kunstmuseums. Der Eintritt ins Museum beträgt drei Euro, zwei Euro ermäßigt.