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Pienes fliegende Poesie am Pariser Himmel

Mit Celle eng verbundener Künstler inszeniert "Sky-Event" bei Kunstnacht in Frankreich

von Gerd Korinthenberg - Cellesche Zeitung vom 07. Oktober 2008

Pienes fliegende Poesie am Pariser Himmel

PARIS. Der Motorradfahrer im rasanten Kreisverkehr bremst abrupt seine schwere Maschine, zeigt mit dem Daumen nach oben und übertönt rufend den Verkehrslärm: "Magnifique!" Wunderbar ist es wirklich, was der betagte ZERO-Künstler Otto Piene an diesem kalt-windigen Herbstabend an den dunklen Himmel von Paris zaubert. An der Place de Catalogne setzt der 80-jährige Kunst-Weltbürger aus Westfalen - in Celle bestens bekannt durch seine knallroten Feuerwerk-Skulpturen und die aktuelle Ausstellung "Verwandlung" im Kunstmusem - alles auf die Karte seines jüngsten Sky-Events. Riesige, schwebende Skulpturen, stacheligen, weißen Sternen oder Blüten ähnlich, sollen federleicht im Wind tanzen.

Das 50 Jahre alte ZERO-Konzept von der Entwicklung einer immateriellen, nur aus Licht, Bewegung und Fantasie geformten Kunst kann auch heute noch begeistern - wie zahllose gezückte Fotohandys und der Applaus hunderter Pariser Kunst-Nachtschwärmer beweisen. Die erste Himmelsaktion des Künstlers auf Frankreichs Boden ist Bestandteil der populären Pariser Kunstnacht "Nuit Blanche".

Wir wollen zeigen, dass die ZERO-Bewegung keine lokale Düsseldorfer Geschichte ist", erklärt Mattijs Visser, künftiger Geschäftsführer der in Gründung befindlichen ZERO-Stiftung, die das Werk der von Piene, Heinz Mack und Günther Uecker gebildeten Künstlergruppe der 60er Jahre erforschen wird.

1000 Kubikmeter Helium für die prallen Plastikwürste, die zunächst den Platz bogenförmig überspannen und die später die Stachel-Blüten bis etwa 30 Meter in die Höhe ziehen, stehen in Stahlflaschen bereit. Zunächst spielt nur ganz surreal das Bunt der Neonreklame, das Kreis-Ballett der Autoscheinwerfer reflektierend in der prallen Plastikfolie. Zuerst hebt sich - an seinen vier Sicherheitsleinen gehalten - der schneeweiße Paris-Star und tanzt im Wind sein Ballett, im Hintergrund ist der Eiffelturm zu sehen.

Gegen Mitternacht folgt der ebenfalls rund 20 Meter breite Nuit-Blanche-Star, er bäumt sich - von dem Helium-Schläuchen mühsam gehalten - gegen ruppige Böen und schraubt sich im fahlen Scheinwerferlicht lautlos auf und nieder. Trotz zunehmender Winde kann dann noch zur Freude der standhaftesten Zuschauer der schneeweiße Berlin-Star von gigantischen Ausmaßen in den dunklen Himmel steigen. Der greise Otto Piene umrundet derweil sein Werk wie ein grauhaariger Hirtenhund, gibt dem Helferteam knappe Anweisungen.

Lampenfieber habe er im Moment auch nach 40 Jahren Sky-Event-Jahren noch, gesteht Piene,den der unwirtliche Kreisverkehr als "Bühne" seiner Aktion begeistert: "Er ist lebhaft, voll Dynamik und Licht." Selbst das beständige Karussell des Verkehrsstroms sei ein wesentlicher Teil der Aktion. "Die Bewegung gehört mit dazu", erläutert der Künstler. So schreiben an diesem Abend ahnungslose Autofahrer mit an einem kleinen, künftigen Kapitel deutsch-französischer Kunstgeschichte.