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Lichtkunst lässt Kinderaugen strahlen

Von Silja Weißer - Cellesche Zeitung, 28.01.2009

CELLE. 22 Mäuse spazieren durch die Eingangstüren des Kunstmuseums. Juliane Baumann und Martina Löhle sehen es gelassen. Kein Anlass, den Kammerjäger zu rufen. Lächelnd nehmen die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Kunstmuseums mit Sammlung Robert Simon ihre Gäste in Empfang -  natürlich keine grauen Tierchen, sondern eine aufgeregte Kinderschar. Die „Mäusegruppe“ des Kindergartens Wietzenbruch mit ihren Erzieherinnen Ingrid Anacker und Ariane Grunwald hat sich aufgemacht, das neue Lichtkunstlabor für Kinder im Dachgeschoss des Hauses zu erkunden und bei einer Führung dem Zauber der Lichtkunst auf den Grund zu gehen. Doch schon im Eingangsbereich stellt sich heraus, dass dies kein leichtes Unterfangen ist und die Drei- bis Sechsjährigen zwei Dinge mit ihren tierischen Namensvettern gemein haben: einen schier nicht zu bändigen Bewegungs- und einen ebenso ausgeprägten Erkundungsdrang.

Den knallpinken Stoff von Renate Schumann im Foyer nur anschauen und nicht anfassen? Unmöglich. Auch wenn die Erzieherinnen und eine begleitende Mutter ein ums andre Mal ermahnen.
Plötzlich hält Juliane Baumann ihre Hände in die Luft und fragt: „Wisst Ihr, was ihr mit Euren Krabbelfingern machen könnt?“ Ratloses Schweigen. „Ihr könnt sie zum Beispiel in die Tasche stecken.“ Erst achselzuckend, dann kopfschüttelnd schaut die vierjährige Lara an ihrem taschenlosen Kleid herunter. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin lacht. „Oder ihr faltet sie hinter Eurem Rücken, etwa so“, demonstriert sie und dreht sich dabei kurz um. Siehe da: es klappt.

Damit es nicht allzu schwer fällt, tricksen Baumann und Löhle: Ab auf die Matten, heißt es. Jedes Kind schnappt sich ein lila, rotes oder blaues Filzquadrat und setzt sich zwischen Werken von Vollrad Kutscher und Ben Willikens im Kreis auf den Boden. Die Krabbelfinger im Schoß verschränkt. Dort bleiben sie, als die Lichtkunstexpertinnen ihnen etwas über das Konzept des 24-Stunden-Museums erzählen: Tagsüber lockt es mit seinen Bildern und Skulpturen Besucher an. Nachts leuchten zahlreiche Lichtkunstobjekte durch die Fenster und die Fassade erstrahlt in wechselnden Farben. Die Kinder lauschen gebannt. Ihre Krabbelfinger bewegen sich nicht, auch als Baumann anhand von Kutschers Arbeit erläutert, dass Bilder nicht über Farbe, sondern auch über Licht und Schatten entstehen können. Zustimmendes Nicken.

 Doch dann endlich der ersehnte Augenblick, die eindeutige Ansage im Aufgang zum Dachgeschoss: „Anfassen erlaubt!“ fordert Juliane Baumann auf. Ab jetzt dürfen die Krabbelfinger auf Tour gehen. Energisch stiefeln die Mäuse die Treppe hoch. Der Lärmpegel steigt. Oben angekommen sind es jedoch nicht die Hände, die in Bewegung geraten. Aufgeregt wandern 22 Augenpaare durch den über 100 Quadratmeter großen Raum, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Kein Tageslicht dringt durch die dicken schwarzen Vorhänge. Dunkel ist es dennoch nicht. Künstliche Beleuchtung zieht die Blicke auf sieben interaktive Stationen. Sie laden die Kinder ein, der Frage auf den Grund zu gehen: Warum machen Künstler Licht zum Kunstmaterial? Klingt nach einer schwierigen Aufgabe, die dank des von Juliane Baumann ausgetüftelten Konzepts der Schau nicht so schwer ist, wie sich herausstellt.

Sofort wird das Schattenkino umlagert, eine große, von hinten beleuchtete Leinwand. Patricia und Lukas sind die Auserwählten, die sich unter den Ich-Ich-Ich-Rufen durchgesetzt haben und hinter dem Stoff stehen dürfen. „Könnt Ihr sehen, wie groß die beiden in Wirklichkeit sind? Oder welche Haarfarbe sie haben?“ Juliane Baumann blickt in fassungslose Gesichter. Dann endlich die ersten gehauchten Neins.
Während immer mehr Mäuse hinter der Leinwand verschwinden und sich als Schattenschauspieler gefallen, verschwinden die ersten Kinder unter den „Lichtduschen“. In drei eigens für die Schau gezimmerten Kämmerchen scheint nicht alltägliches Licht: grünes, rotes und phosphorisierendes. Lichtkunst lässt Kinderaugen strahlen Jeweils drei Kinder haben Platz in den Kabinen und drehen sich hier vor einem Wandspiegel. Den Mund geöffnet wendet Jamilia fasziniert immer wieder ihre Hände. Ihre Haut ist gespenstergrün  - und sie bleibt es. Die großen Kulleraugen voller Fragezeichen scheint nur eine Frage in dem Köpfchen der Vierjährigen zu geistern: Warum fällt das Licht nicht runter? Während Maja nebenan aus dem Grinsen nicht mehr rauskommt, weil ihre weißen Sweatshirt-Ärmel im Phosphorlicht noch weißer erstrahlen, schreit Patricia kurz auf: „Meine Zähne sind jetzt lila!“
Ruhiger wird`s im Lichtaquarium. Lampen rotieren in einem Glaskasten, der mit einer durchlöcherten Platte abgedeckt ist. Darüber ist ein Zelt gespannt, unter dem alle Kinder Platz finden – seltsamerweise, ohne sich zu rangeln und zu schupsen. Viel zu interessant ist das, was es hier zu sehen gibt: Lichtpunkte huschen über den Stoff und eine kleine (Licht-)Spinne krabbelt über ihre Köpfe. Jannis wundert sich: „Hier ist doch keine Sonne?“ „Das Licht kommt von den Lampen“, belehrt ihn Mika.

Dass aus Krabbelfingern ganz schnell Bastelfinger werden, beweisen die Lichtlaboranten im praktischen Teil der Führung. Baumann und Löhle fordern die Kinder auf, selber eine Abdeckplatte für das Lichtaquarium herzustellen. Sie haben gute Vorarbeit geleistet und farbiges Transparentpapier mit fester Pappe gerahmt. Die Kinder stellen sich an große Tische und zeigen, was sie in punkto Papier schneiden, reißen und aufkleben draufhaben. Anschließend sollen die Collagen durchlöchert werden. Jana, Simon und Finja stochern genüsslich in den Klebebildern herum. In der allgemeinen Begeisterung geht Jannis Gemaule: „Ich dachte, dass wir richtig was mit dem Schraubenschlüssel machen?!“, fast unter. Auch Jana, die kurz mal das komplette Museum erkunden wollte und gerade noch von Ingrid Anacker „eingefangen“ wurde, zieht eine Schnute. Als dann jedoch jede Gruppe unter dem Zelt am Lichtaquarium für ihre Bastelarbeit und die dadurch am Zelt schwirrenden Prismen einen Applaus erntet, ziehen Jannis und Jana ihre Unterlippen wieder ein und die Munterwinkel nach oben.

Ebenso schnell ist die Zeit umgegangen. Eine kurzweilige Stunde. Für die übrigen Stationen, den Prismenwald mit funkelnden CD-Rohlingen oder die geheime Leuchtschrift, die mit Hilfe von Lichtschaltern „geschrieben“ wird, bleibt keine Zeit mehr. Ebenso wenig wie für den Taschenlampenzauber und den Bildkopfstand. Gründe genug, um das Haus am Schlossplatz ein weiteres Mal aufzusuchen. Das Lichtkunstlabor bleibt bis zum 29. März geöffnet,  zu den Öffnungszeiten des Museums, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr.
Doch vorerst räumen die Mäuse das Feld -  so, wie sie es gelernt haben: die Krabbelfinger in sicherer Entfernung von den Kunstwerken des Hauses. In Zweierreihen marschieren sie in Richtung Bushaltestelle - sichtlich erschöpft, aber, nach so viel aufregender Lichtkunst nicht verwunderlich: strahlend.