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Zirpender Leuchtkörper

Kunstmuseum in Celle
 
Der ZEIT-Museumsführer Nr. 113: Das Kunstmuseum in Celle

Von Johanna Di Blasi - DIE ZEIT, 18.08.2011 Nr. 34

Wenn man durch den Celler Schlosspark schlendert, vorbei an alten Linden, Mammutbäumen und Weiden, die dicke Astzotteln in den Schlossgraben hängen lassen, fällt der Blick irgendwann auf einen milchigen Quader. Er steht in dem pittoresken Fachwerkstädtchen so fremd da wie der geheimnisvolle schwarze Quader in Stanley Kubricks Filmklassiker 2001 – Odyssee im Weltraum. Vor allem nachts, wenn in der einstigen Residenzstadt kaum Fenster erleuchtet sind – die heimeligen Häuser bergen statt Familien überwiegend Geschäfte und Büros –, macht das architektonische Objekt auf sich aufmerksam: Es beginnt zu glühen. Zu jeder vollen Stunde kann man das hyperaktive Spektakel seines Farbwechsels dank LED-Technik erleben. Es handelt sich um die Nachtperformance des »Ersten 24-Stunden-Kunstmuseums der Welt«.

Das Konzept stammt vom hannoverschen Sammler und Galeristen Robert Simon. Er ließ sich die Idee sogar patentieren. Seit 1998 ist das Erste 24-Stunden-Kunstmuseum der Welt (ohne zusätzliche Personalkosten) beim Deutschen Marken- und Patentamt in München unter der Nummer 39854828 registriert. Noch bevor in der virtuellen Welt des Internets die 24-Chiffre omnipräsent wurde (immo24, discounter24, travel24), nahm sie in Celle die Form eines realen Museums an.

Doch ist es keineswegs so, dass man um vier Uhr früh durch die Schauräume wandeln kann, vorbei an kühlen, akkuraten Raumbildern von Ben Willikens oder skurrilen Setzkästen von Peter Basseler. Schon um 17 Uhr sperrt das Museum zu und öffnet – wie die meisten anderen Museen auch – erst wieder um 10 Uhr morgens.

Während der Sperrstunden aber glüht und blinkt durch verschwenderische Glasfronten internationale Lichtkunst aus dem Museum in den Stadtraum hinaus – und so ist Celle nonstop mit Kunst versorgt. Zum nächtlichen Lichtkunstprogramm gehören ein Neon-Herz des Konzeptkünstlers Timm Ulrichs, ein Leuchtfries des ZERO-Vertreters Otto Piene und eine aus 8.300 Leuchtdioden bestehende Quantenlandschaft des Lichtkünstlers Francesco Mariotti.

Mariottis Quantenlandschaft sucht allerdings schon tagsüber auf fast rührende Weise den Kontakt mit Passanten, die durch eine gepflasterte Gasse am Museum vorbeilaufen. Das interaktive Werk reagiert auf Bewegung mit possierlichem Blinken und dezentem Sound, zum Beispiel Grillenzirpen.

Zwei Wege führen in den Leuchtkubus: Mit dem gläsernen Haupteingang macht man nichts falsch, aufregender aber ist der Nebenweg über das angrenzende Bomann-Museum, 1907 erbaut. Dieses der Volkskunde und Celler Stadtgeschichte gewidmete Museum hat der Schriftsteller Hermann Löns seinerzeit als »veritablen Architekturpudding« bezeichnet, weil darin sämtliche Celler Stile gemixt sind.

Mit einem einzigen Schritt gelangt man dort von einer urigen Bauernküche mit offener Feuerstelle ins 21. Jahrhundert, von einem groben Steinboden aufs glatte Parkett, aus einlullendem Dämmerlicht laternenbeschienener Stuben in die neongrelle Moderne. Zunächst muss man blinzeln, dann drängt sich ein pastos hingeschmiertes Spiegelei des Malers Dieter Krieg ins Blickfeld.

Die Zusammenstellung der Werke im Kunstmuseum Celle – ein Lichtraum von Otto Piene, Multiples von Joseph Beuys, Zeichnungen von Erich Wegner (Hannoversche Neue Sachlichkeit) aus den 1920er Jahren – mutet mitunter kurios an. Sie verdankt sich glücklichen Zufällen und subjektiven Vorlieben eines privaten Sammlers, der bewusst absehen wollte von den üblichen Moden. Bevor Robert Simon Galerist in Hannover und ehrenamtlicher Museumsdirektor in Celle wurde, war er in der PR-Abteilung eines Versicherungskonzerns tätig. Sein PR-Know-how rettete der Sammler, den man nie ohne bunt gescheckte Krawatte antrifft, in die Kunstaktivitäten hinüber. Die Managerqualitäten stellte er in den Dienst der Kunst – und schuf eine Sammlung, deren Schwachstelle die mangelnde Kohärenz ist, die sich aber von der gerade in modernen Kunstmuseen vorherrschenden Uniformität erfrischend abhebt.

In die Erinnerung eingepflanzt bleibt nach dem Museumsbesuch vor allem Dieter Krieg, das überschäumende Werk des 2005 verstorbenen Künstlers. Celle besitzt eine der größten Sammlungen des Malers, der zu Unrecht im Schatten von Künstlern wie Markus Lüpertz oder Georg Baselitz steht.

Ebenfalls prägen sich jene Bilder und Skulpturen ein, die von Professoren der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Niedersachsens einziger Kunsthochschule, geschaffen wurden, darunter Lienhard von Monkiewitsch, Roland Dörfler oder Hartmut Neumann. Zu den jüngsten Sammlungszuwächsen gehört ein Digitalprint des Neumann-Schülers Tim Berresheim, der verblüffende Effekte erzielt, indem er Motive durch Hurrikan-Simulatoren aus dem Animationsfilmbereich jagt.

Celle hat auf diese moderne Kunst nicht gewartet. Traditionsstolze Bürger hatten anfangs den Fremdkörper abzustoßen versucht wie die Muschel ein Sandkorn. Heute gilt das Kunstmuseum als Perle. Es ist so sehr mit der Stadt verwoben, dass, wer die Museumsnummer wählt, nicht selten im städtischen Kulturamt landet – die Telefone werden dorthin umgeschaltet.

Seine Sternstunden erlebt das Kunstmuseum Celle im Dezember und Januar. In den dunklen Monaten überlappen sich gegen Abend die Tag- und Nachtseite: Während es in den Schauräumen noch hell ist, morst die Fassade bereits Lichtzeichen ins Weltall.