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»Das Sinnliche geht verloren«

Immer weiter dringt das Digitale in unseren Alltag ein. Nie zuvor war es leichter, Bilder herzustellen, zu bearbeiten und zu manipulieren. Unter dem Titel „RE:SET“ zeigt das Kunstmuseum Celle in einer Ausstellung, wie Künstler auf diese Entwicklung reagieren.

Cellesche Zeitung, 23.04.2013 - von Rolf-Dieter Diehl

Ab van Hanegem, Snakeoil, 2012, 230 x 200, CELLE. Wie zeitgenössische Künstler auf die Herausforderung der Digitalisierung reagieren, zeigt das Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon in seiner aktuellen Sonderausstellung „RE:SET – abstract painting in a digital world“. Bei einer Sonderführung am Sonntag veranschaulichte die Kunstwissenschaftlerin Lê Duong-Thanh an ausgewählten Beispielen die unterschiedlichen Positionen der zwölf ausstellenden Künstler.

Der Berliner Künstler Volker Wevers übertrug für sein Ölgemälde „roundaboard“ ein künstlich erzeugtes virtuelles Bild in das Medium der Malerei und machte es damit zu einem materiellen Objekt. Auf diese Weise wurde „das endlos reproduzierbare virtuelle Bild wieder in ein von Hand gefertigtes Unikat verwandelt“, erläuterte Lê Duong-Thanh. Ganz anders die großformatigen Bilder des Amsterdamer Künstlers Ab van Hanegem. Was auf den ersten Blick wie ein großformatiger Ausdruck einer Computergrafik erscheint, entpuppt sich als kunstvolle Acrylmalerei. Wobei „malen“ nicht das richtige Wort sei, wirft Duong-Thanh ein. Die Farben wurden mit Hilfe eines Fensterwischers auf der Leinwand verteilt und in die so entstehenden Schlieren wiederum Farben eingemischt. So bietet sich dem Betrachter nun ein faszinierend gestaltetes Spiel mit der Räumlichkeit mit plastisch anmutenden Kontrasten zwischen Bewegung und Statik.

Überhaupt – so die Botschaft dieser Ausstellung – bietet die „Schwäche“ von Farben (sie sind nass) eine variantenreiche Vielzahl an Chancen der Komposition und Gestaltung, wie sie die Digitalisierung nicht bietet. Etwa die nuancenreich erzielbaren farblichen Wirkungen, die allein dadurch entstehen, dass der Malgrund die Farbe aufsaugt. Oder das differente Verhalten der Farbe als Materie, das der Berliner Rainer Splitt thematisiert hat. Wie ausgelaufene Farbe auf dem Hallenboden präsentiert sich etwa sein gelber Epoxydharz-Farbguss dem Betrachter. Auf sinnliche und haptische Qualität, die in digitaler Form unmöglich sei, setzt auch der sich selbst als „radikaler Analog-Maler“ bezeichnende Giso Westing aus Hannover, der in seinen Exponaten den „komplizierten und verdichteten Farbauftrag als Herausforderung“ sieht. „Farbe ist räumlich“, stellt er fest. In der digitalen Wiedergabe gehe das Sinnliche verloren. Eine vollkommen plastisch und fotografisch anmutende Oberfläche hingegen bietet sich dem Betrachter bei den Acrylbildern des Groninger Künstlers Martin Schuppers. „Er löst bereits aufgetragene Farbschichten mit Hilfe von Terpentin und schiebt sie hin und her, bis sie sich nach dem Zufallsprinzip an anderer Stelle wieder festsetzen“ beschreibt Duong-Thanh die Vorgehensweise. Der quasi im Hinterkopf des Betrachters entstehende Dialog zwischen Sichtbarem und einer damit verbundenen Erinnerung lässt dabei Illusionen etwa einer Mondlandschaft entstehen.

Als zusätzlichen Reiz und als Kontrastprogramm zu analogen Verfahren zeigt die Ausstellung in begleitenden Video-Arbeiten, welche Formen abstrakte Malerei in der digitalen Welt annehmen kann.