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Kopfkünstler

Das Kunstmuseum Celle zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Joseph Beuys und Timm Ulrichs

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 15.11.2007 - von Michael Stoeber

In einem jedenfalls waren sich die beiden Künstler einig: In ihrer Ablehnung der Malerei zugunsten einer Kopfkunst. „Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen“, heißt es auf einem Karteikarten-Multiple von Joseph Beuys (1921–1986). Aber war bei dem Meister aus Kleve das Nein zur Malerei politisch motiviert, so ist es bei Timm Ulrichs, Jahrgang 1940, eher privater Natur. Malen fällt einfach nicht in den Kompetenzbereich des Sprachspielers und Denkkünstlers.

Die unterschiedliche Gewichtung des Privaten und Politischen scheint im Werk dieser beiden Künstler immer wieder auf. Beuys stellt all seine Gestaltungsfähigkeiten in den Dienst einer zu reformierenden Gesellschaft und eines zu verbessernden Menschen. Ulrichs Werke kreisen dagegen am Beispiel der eigenen Person um Sprachkritik, Selbst- und Welterkenntnis. Das macht auch die sehenswerte Konfrontation der Auflagenwerke der beiden Künstler aus der Sammlung Robert Simon im Kunstmuseum Celle deutlich.

Beuys Werke begleiten wie eine Art Tagebuch sein künstlerisches Leben. Nicht umsonst hat er von ihnen gesagt: „Wenn ihr alle meine Multiples habt, habt ihr mich ganz.“ Die Auflagenobjekte sind für ihn ein schnell zu bearbeitendes Medium, das einen wichtigen Gedanken ebenso festhält wie eine künstlerische Aktion. Der berühmte Satz „Wer nicht denkt, fliegt raus“, nach einem anstrengenden Vortrag auf eine Postkarte notiert, gehört ebenso dazu wie der von Beuys signierte rote „Backstein für die F.I.U“.

Der Erlös aus seinem Verkauf diente dem Aufbau der Free International University, die Beuys gründete, nachdem man ihm 1972 als Professor an der Akademie in Düsseldorf gekündigt hatte. Er hatte den Numerus clausus als grundgesetzwidrig abgelehnt. Das Foto, das den lächelnden Beuys zeigt, wie er von Polizisten zum Verlassen des Hauses gezwungen wird, trägt den handschriftlichen Zusatz „Demokratie ist lustig“ – und wird zum Kunstwerk.

Beuys’ Multiples verweisen auch auf seine Zeit als Pilot im Zweiten Weltkrieg. Damals wird er abgeschossen und von Nomaden gefunden und gepflegt. Sie nähren ihn mit Honig und wärmen ihn mit Filz: Stoffe, die im Werk des Künstlers später für positive Energie stehen. „Gib mir Honig“, lautet die knappe Forderung auf einer Karteikarte, die als Multiple Verbreitung gefunden hat.
Schaut man auf die in Celle versammelten Werke, dann bringen zwei zu Ikonen gewordene Selbstporträts der beiden Künstler Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Werks zur Geltung. Gemeinsam ist beiden, dass ihnen der Stoff ihres Lebens immer auch zum Stoff ihrer Kunst wird.

Das Foto von Beuys zeigt ihn in seinem charakteristischen Aufzug mit Filzhut, Jeans und Fischerweste. Um die Schulter trägt er einen breiten Gürtel. Er wirkt wie ein Patronengürtel, hält aber nur eine Tasche. „Wir sind die Revolution“, verkündet in italienischer Schrift die Unterschrift. Timm Ulrichs dagegen sehen wir in der Tradition des blinden Sehers. Mit dunkler Brille, Blindenstock und Armbinde lesen wir auf einem Schild, das er um den Hals trägt, „Ich kann keine Kunst mehr sehen“, ein doppeldeutiges und hintersinniges Wortspiel, wie es für den hannoverschen Künstler nicht typischer sein könnte.

                      

Das Porträt ist nicht nur subtile Kritik an der Kunst der Zeitgenossen, sondern unterstreicht auch seine hervorgehobene Stellung als Kunstdiagnostiker – und das in der paradoxen Manier, die seinem Werk eigen ist. „Denken Sie immer daran mich zu vergessen.“ Die Inschrift auf dem schon zu Lebzeiten gefertigten Grabstein ist eine weitere dieser eleganten Paradoxien, für die der Künstler geschätzt wird.

Duchamps Ready-made-Theorie – Kunst ist, was der Künstler als Kunst definiert – radikalisiert Ulrichs, als er sich 1968 zum Kunstwerk erklärt. Um seine Einmaligkeit als lebendes Kunstwerk auch juristisch abzusichern, lässt er sich im selben Jahr im Musterregister des Amtsgerichts Hannover eintragen und gerichtlich schützen.

Diese Lust, ebenso uneitel wie ironisch die eigene Person zum Maßstab zu nehmen, um an ihr Haltungen und Einstellungen deutlich zu machen, bestimmt auch das Werk seiner Multiples. Bei den Olympischen Spielen 1980 sieht man ihn in einem riesigen Hamsterrad die Jagd nach sportlichen Rekorden ad absurdum führen. In der Edition „Vorsicht Kunst“ sammelt er Kunstdefinitionen. Das „scharfe Profil“ fräst sein Gesicht aus dem Blatt einer Kreissäge. Sein Kopfsteinpflaster zeigt immer wieder den eigenen Kopf in Beton gegossen. Und seine anrührende „Homage to Gertrude Stein“ präsentiert den Künstler als Verehrer der amerikanischen Autorin und zugleich als Sprachanalytiker. Die Rose, an der er sein semantisches Konzept abhandelt, erscheint auch im Werk von Joseph Beuys. Bei der documenta 5 stand sie in seinem Büro als aufmunternder Trost bei ermüdenden Diskussionen. „Ohne die Rose tun wir’s nicht, da können wir gar nicht mehr denken“, lautet der entsprechende Multiple-Satz.

Kunstmuseum Celle, Schlossplatz 8, bis zum 30. März 2008. Eröffnung heute Abend um 19 Uhr, Katalog 22 Euro.