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Tacken im Sturm

Die Bilder zur Krise: Der Künstler Tim Berresheim hat Spielgeld in den Hurrikansimulator geworfen – das Ergebnis zeigt das Kunstmuseum Celle

VON JOHANNA DI BLASI - Hannoversche Allgemeine Zeitung, 20.07.2011

Tim Berresheim
„Future Gipsy Antifolklore“ von Tim Berresheim. Marc Jancou Contemporary

Das internationale Finanzsystem entpuppte sich in der jüngsten Krise weit stärker von Fiktionen und Irrationalität geleitet als angenommen. Wirtschaftslehrbücher veralteten schlagartig, ohne dass neue Theorien bereitstünden. Aktionen, die nach dem Crash hektisch eingeleitet wurden, erinnerten eher an Performances von Surrealisten oder Dadaisten als an umsichtiges Handeln rationaler Instanzen. Die passende Bebilderung zum globalen Finanzwahnsinn reicht jetzt ein deutscher Künstler nach: Tim Berresheim.

Der KölnerMedienkünstler hat Fake-Geld, sogenannte Hell Bank Notes mit absurd hohen Summenaufdrucken, durch Wettersimulationsprogramme gejagt. Solche Programme werden von der Animationsfilmindustrie dazu genutzt, umzu simulieren, wie bei Wirbelstürmen alles durch die Gegend fliegt. Berresheim ließ eine Spezialfirma Fotografien von Hell-Money, Messern, Zigarettenstummeln und LSD-Trips mit 30 Großcomputern bearbeiten. Seine Digitalprints zeigen eingefrorene Momente – „Future Gipsy Antifolklore“ heißt die Serie.

Zu sehen sind die ungemein eindrucksvollen Bilder in einer Sonderschau des Kunstmuseums Celle mit dem Titel „Die Dämmerung“, in der neben neuesten Berresheim-Werken auch Malerei von dessen Braunschweiger Lehrer, dem HBK-Professor Hartmut Neumann, zu sehen ist. Die Produktionskosten der Berresheim-Serie liegen im fünfstelligen Bereich. Ein PC hätte für derartige Ansichten ein Jahr rechnen müssen. Als Betrachter steht man verblüfft davor. Die Bilder stellen nicht weniger als optische Ungeheuerlichkeiten dar. Sogar winzige Details sind auf den glänzenden Digitaldrucken messerscharf wiedergegeben. Die Raumperspektive ist enorm. Manche Elemente verlieren sich in der Bildtiefe wie davonschwebende Mücken, andere scheinen an einer unsichtbaren Scheibe dicht vor den Augen zu kleben. Keine menschlichen Augen, nur Computer können so „sehen“.

Etwas Rauschhaftes gewinnen die Aufnahmen nicht nur durch die aberwitzige Bewegtheit bei maximaler Scharfstellung und die Unmengen bunter LSD-Trips (Papiermarken, auf denen sich die halluzinogene Substanz befindet), sondern auch durch die Höllenbanknoten. In Asien werden solcheScheine verbrannt,wenn jemand gestorben ist und man ihm im Jenseits ein Weiterleben à la Krösus wünscht.

In der Wirklichkeit so scharf zu sehen wäre wohl Segen und Fluch zugleich. In Jorge Luis Borges’ Buch „Die unendliche Bibliothek“ gibt es eine Figur, die alle Details sieht und erinnert, was zu einer Art Paralyse des Denkens führt. Wenn in jedem Moment alles erfasst wird, wird zugleich nichts erfasst.

In Berresheims Bildproduktion führt nicht nur die digitale Hurrikansimulation zu erstaunlichen Resultaten, sondern auch die Fellsimulation, wie eine andere Serie im Kunstmuseum zeigt. Für Animationsfilme mit tierischen Protagonisten ist die Simulation bewegten Fells ungemein wichtig, wenn die Tiere nicht steif erscheinen sollen oder man sich auf Ameisen konzentriert wie in „Das große Krabbeln“ aus der Anfangszeit der abendfüllenden, computergenerierten Animationsfilme Ende der neunziger Jahre. In Berresheims „haarigen“ Arbeiten, ob als großformatige Digitaldrucke oder konventionelle Grafiken, fungieren Haare losgelöst vom Felleindruck wie verselbstständigte zeichnerische Linien. Auch hier begegnet eine Komplexität an Formen und Variationen, wie sie ohne Computer nicht zu erreichen wäre. Angesichts der visuellen Wucht und Originalität der computergestützten Kunst von Tim Berresheim erscheint es beinahe gewagt von dessen früherem Lehrer Hartmut Neumann, in der Celler Ausstellung mit konventioneller Ölmalerei und romantischen Sujets dagegenzuhalten. Neumann kombiniert in seiner Malerei Phantasiegewächse undgestaltet utopische Landschaften. Wie einst der Romantiker Philipp Otto Runge ordnet er Blüten und Früchte ornamental an. In manchen Bereichen sind die Bilder strudelartig verdichtet. Man meint, in ferne kosmische Welten zu blicken, in denen gerade neue Planeten entstehen.

Bei aller Unterschiedlichkeit im künstlerischen Temperament bemerkt man einige Parallelen zwischen Lehrer und Schüler, etwa den gemeinsamen Hang zum Phantastischen und Wirbelsturmhaften. Berresheim, dessen auffällige Körpertätowierung bis unters Kinn reicht und der unter anderem mit Jonathan Meese zusammengearbeitet hat,war indes nur kurz an der Kunsthochschule. Er war der Meinung, Künstlern sei als Professoren kaumzuzutrauen, den Nachwuchs auszubilden, dessen Ziel die Entthronung der Lehrer ist.

Kunstmuseum Celle, bis 16. Oktober