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Georg Seibert - Gasthaus (2008/2009)

Rückblick

29.06.2008 – 05.03.2009
Gasthaus
Georg Seibert

geb. 1939 in Kleinwiesen
lebt und arbeitet in Berlin und Marleben
»Gasthaus«, 1982
Wie eine imposante »Urhütte« aus dicken, rohen Holzbalken und massiven Stahlverbindungen erhebt sich das »Gasthaus« von Georg Seibert über dem Berührungspunkt von zwei langen, im rechten Winkel zueinander aufgestellten Tischen. Das wuchtige Gebilde ist eine Skulptur zum Benutzen: Kunstbetrachter können hier buchstäblich vorübergehende Kunstbesitzer werden, indem sie an den langen Tafeln Platz nehmen, um miteinander und mit dem Kunstwerk in Gesellschaft zu sein.

Erst die Anwesenheit von Benutzern macht das Werk komplett. Ohne »Gäste« wirkt die hausähnliche Konstruktion wie eine morbide Kulisse. Ihre Funktion als Ort für Begegnungen hingegen erfüllt die Skulptur mit Seele und Sinn. Als benutzbares Objekt liefert es zugleich einen Vorwand zum Kontakt, einen Anlass zum Austausch – zum Beispiel über Materialien, Machart, Ästhetik oder Kunstwert. So kann das Kunstwerk im Moment seines Gebrauchs (und seiner äußeren Form entsprechend) zu einem Dreh- und Angelpunkt werden zwischen den Menschen, die an diesem Ort aufeinandertreffen.

Das Haus ist das zentrale Thema im Werk von Georg Seibert. Seine archetypisch anmutenden Skulpturen führen nicht nur die zahlreichen Erscheinungsformen und Funktionen des Hauses vor Augen, sondern erschließen vor allem dessen vielschichtige Symbolik. Seibert zeigt das Haus unter anderem als Haut oder Hülle, als Schutz- oder Kultraum, als Ort der Sammlung oder Abgrenzung, als Ausdrucksmedium und Vermittlungsinstanz.

Seit Mitte der 80er Jahre fertigt er seine Architektur-Skulpturen aus Stahlbausätzen, die sich variabel anordnen lassen – wahlweise als gegenständliche oder abstrakte Formation. Sein »Elternhaus« von 1984 beispielsweise ist Teil der Sammlung Robert Simon.

Aus dieser Methode resultiert die Erweiterung der bildhauerischen Arbeit in Richtung Bild. Der Künstler entdeckte, dass der Prozess des Verrostens die massiven Stahlelemente zu Mal- und Zeicheninstrumenten macht: Sie hinterlassen markante Spuren aus Roststaub auf dem Boden. Mit Wasser übergossen erzeugen sie auf Leinwänden, Folien oder Stahlplatten Flächen und Konturen mit überraschender Farbigkeit. Diese »Rostbilder« dokumentieren weit mehr als nur verschiedene Anordnungen der Bau-Elemente. Sie entfalten und verdeutlichen das Potential der Stahlbausätze zwischen Konstruktion und Dekonstruktion. Der Umgang mit diesen »Künstler-Bauklötzen« ist nicht einfach nur ein Spiel, sondern das modellhafte Erforschen von Konsequenzen des Aufbauens und Zerlegens von Formen, Beziehungen und Bedeutungen.