Seiteninhalt

Dirnenhafte Erotik und damenhafte Geziertheit

Autor: Rolf-Dieter Diehl, Cellesche Zeitung, 07.02.2012

Im Rahmen seiner aktuellen Ausstellung „Pailletten, Posen, Puderdosen“ hatte das Bomann-Museum dazu angeregt, dem sich verändernden Frauenbild der 1920er-Jahre eine Begleitveranstaltung zu widmen.

Dirnenhafte Erotik und damenhafte Geziertheit CELLE. Mit gespannter Aufmerksamkeit, changierend zwischen Faszination, Erstaunen und Amüsement, folgten die Zuhörer im Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon am Sonntag den Ausführungen der Kunsthistorikerin Daphne Mattner. Unter dem Titel „Zwischen Caféhausmusik und Bordsteinkante“ widmete sie sich den Dirnen und Damen aus dem Milieu der turbulenten 1920er-Jahre in den Zeichnungen des hannoverschen Künstlers Erich Wegner (1899-1980), dessen künstlerischer Nachlass zu großen Teilen zur den hauseigenen Sammlungsbeständen des Kunstmuseums gehört und mit dessen Werk sich die Wissenschaftlerin wie kaum jemand anders auskennt.

An ausgewählten Beispielen von der lässigen, spontanen Skizze über grafisch durchgestaltete Kompositionen bis zur figurativen, farbigen Gouache veranschaulichte und erläuterte Mattner, wie sich Wegner seinerzeit dem Thema „Frau“ mit künstlerischer Leidenschaft angenähert hat. Mit hintergründig entlarvenden Informationen machte sie dabei das Publikum zum intimen Teilhaber an Wegners Suche nach künstlerischem Ausdruck. Wegner – so beschrieb sie seine damaligen Vorlieben – sammelte seine Motive „bevorzugt dort, wo es dunkel, anrüchig oder zwiespältig zuging“, in Hinterhöfen, Dachkammern, Kaschemmen und Kneipen.

Mit Vorliebe skizzierte er – wie in der Zeichnung „Frau zwischen den Stühlen“ – einen ordinären Frauentypus, abstrahierte ihn, ohne besonderen Wert auf optische Reize zu legen. Vielmehr lag ihm offensichtlich an einem „provozierenden Nebeneinander aus zurechtgemachtem Schick und grober Hässlichkeit“ und dem daraus erzeugten Spannungsaufbau. Oder er verband in seinen Figuren „dirnenhafte Erotik und damenhafte Geziertheit“. Etwa bei der von ihm gezeichneten „Dame im Café“, die er – wie Mattner verdeutlichte – einerseits mit einer Reihe an weiblichen Attributen wie „lange Wimpern und zum Kussmund gespitzte Lippen“ ausstattete und zugleich als „erotisches Wesen“ gestaltete, „das mit lockenden Gesten die Freier heranzuziehen versucht“. Selbst die „brave Hausfrau“ bricht unter Wegners pointiert karikierendem Zeichenstil aus ihrer traditionellen Rolle aus. Er befreit sie aus ihrer weiblichen Passivität und macht sie zum beherrschenden „Überweib, das Ehebett und Küche demonstrativ den Rücken kehrt“.

Doch in all seinen Darstellungen gehe es Wegner nicht darum, den Betrachter mit Einzelschicksalen zu konfrontieren. „Er malt keine Individuen,“ konstatierte Mattner, „sondern er konstruiert ‚Typen‘ als Stellvertreter für das gesellschaftliche Spektrum jener Zeit.“ Und das in einer deutlichen Sprache.