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Neonkunst: Ein Tanz aus Licht und Schatten

Von Vivien Timmler - Spiegel online, 12.07.2014

Nachts tropft es aus Flaschen leuchtend grün, auf dem Kirchturm wirbeln wirre Bilder herum: Der "Neonsommer" verwandelt mit Glühbirnen, LED-Lampen und Neonlicht die Stadt Celle in ein Gesamt-Lichtkunstwerk. Wer hinschaut, gerät in einen Lichtrausch.

Neonkunst: Ein Tanz aus Licht und Schatten

Wer die beschauliche Stadt Celle in der Lüneburger Heide kennt, weiß: Hier setzt man auf das Altbewährte, auf das Konservative. Innovation, Moderne? Das sucht man zwischen Fachwerkhäusern und gepflasterten Dorfplätzen eher vergeblich.

Diesen Sommer aber schmückt ein mit Leuchtstoffröhren, mit rotem und gelbem Plexiglas gespicktes Baugerüst den Innenhof des Celler Oberlandesgerichts, lässt eine Projektion helle Bilder auf dem Turm der Kirche St. Marien umhertanzen. Und durchschreitet man als Fußgängerin die Bahnhofsunterführung in Celle, so erhellt sich mit jedem Schritt der Weg, und es erklingen leise Melodien im Tunnel.

"Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21. Jahrhundert. Teil 2" heißt die neue Ausstellung des Celler Kunstmuseums. Diesem waren seine tausend Quadratmeter Ausstellungsfläche offenbar nicht genug. Also erobert es Teile des Stadtraums. Und macht so auf eine spezielle Form der Kunst aufmerksam: die Lichtkunst - ein bisher eher selten wahrgenommener, lange übersehener Teil der Kulturlandschaft, der schnell unter dem Generalverdacht steht, nur dekoratives Kunstgewerbe oder, schlimmer, nur ein Event zu sein. Doch genau diese Kunst boomt momentan in Deutschland - da ist sich zumindest der Celler Museumsgründer Robert Simon sicher. Er stellt die Lichtkunstwerke 36 verschiedener Künstler aus, im Museum und um das Gebäude herum.

Uranin in der Weinflasche

Man nehme: 4 cl eines richtig guten Whiskys, 2 cl roten Wermut, dazu eine Cocktailkirsche und fertig ist der Drink "Manhattan" - oder auch nicht. Der Künstler Helmut Schweizer hat den Cocktailklassiker ein wenig anders inszeniert - im "Celler Fenster". Auf den ersten Blick ist es nicht mehr als ein Gewirr aus unzähligen Flaschen, gestülpt auf Flaschentrockner und Dreibeine. Optische Wirkung bei Tageslicht? Eher mittelmäßig. Was sich jedoch erst in der Dunkelheit zeigt: Die Flaschen sind mit Uranin gefüllt, einer fluoreszierenden Chemikalie. Werden sie bei Nacht mit UV-Licht beschienen, leuchten sie: je nach Konzentration der Lösung mal giftgrün, mal goldgelb. Fremdartig und unheimlich sieht das aus, fast bedrohlich. Viele Flaschen haben keinen Deckel, an einigen Stellen tropft es auf den Boden. Eine Anspielung auf die Erdölförderung in der Region als verschwenderisches und überholtes Energiemodell.

Ein schwerer Samtvorhang wird beiseitegeschoben, vorsichtig tritt man in einen etwa drei Quadratmeter kleinen dunklen Raum. Und ist plötzlich alleine, mit sich - und mit einem Auge. Handgeblasenes Glas, gymnastikballgroß, durchzogen von blutroten Adern. Ganz ruhig liegt es dort, in seiner Augenhöhle aus schwarzem Samt. "Die Netzhaut als Ausdruck meiner Identität" nennt es die Künstlerin Helga Griffiths, sie hat sich in gewisser Weise ein Selbstbild erschaffen. Eine außergewöhnliche Form der Lichtkunst, irritierend, aber gleichzeitig beeindruckend.

Nur Schein oder auch Sein?

Unwirkliche Schönheit, filigrane und kunstvolle Verarbeitung, andererseits sowohl Zerbrechlichkeit als auch Vergänglichkeit - das ist es, was die Lichtkunst ausmacht. Sie ist weder ein-, noch zweidimensional, ständig ergeben sich für den Menschen neue Betrachtungswinkel, neue Ebenen. Gleichzeitig ist die Lichtkunst für das Auge keine leichte Kunst. Die optische Wahrnehmung wird vom Zusammenspiel von Licht und Schatten getäuscht, quasi spielerisch können Emotionen erzeugt werden. Angst, Unbehagen, Glück oder Freude - der richtige Lichteinfall bringt dieses oder jenes Gefühl im Betrachter hervor. Wo hört der Schein auf, wo beginnt das Sein? Was ist noch Wahrheit, was ist schon Täuschung? Das herauszufinden, ist für das menschliche Auge keine einfache Aufgabe.
Aber es lohnt sich, sich dieser Aufgabe zu stellen. Eine wahre Entdeckungstour ist ein Gang durch die Ausstellung. Oft kann man selbst Teil der Installation werden, zusehen, wie Schatten und Licht auf der eigenen Haut tanzen. Zu empfehlen sind allerdings eher die Besichtigungen in den Abendstunden oder in der Dämmerung. Lichtkunst ist nun einmal bei Nacht am eindrucksvollsten. Dann lohnt sich auch ein Gang um das Museum herum - auch, wenn das Museum selbst schon längst geschlossen ist.

Die Ausstellung "Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21. Jahrhundert" ist noch bis zum 5. Oktober im Celler Kunstmuseum zu sehen. Dann werden Glühbirnen, Leuchtstoffröhren, Projektoren, Beamer und Laser wieder abgebaut. Eigentlich schade - wurde ein Großteil der Installationen ja extra für diese Ausstellung gemacht. Aber so ist das mit der Lichtkunst nun einmal: Sie ist immateriell. Zieht man den Stecker heraus, ist die Arbeit weg. Und einmal abgebaut, wird es sie so in dieser Form auch kein zweites Mal mehr geben.